Es gibt kein wirksames Arzneimittel ohne Nebenwirkungen!
Arzneimittelrisiken, gehören zum Alltag einer jeden Arzneimittelanwendung. Ein vollständiges Nutzen-Risiko-Profil der in Deutschland angewendeten Medikamente gibt es aber nicht. Zwar müssen seit 1978 neue Medikamente vor ihrer Zulassung ihren Nutzen, das von ihnen ausgehende Risiko und ihre Produktqualität nachweisen. Im Vergleich zu der Zahl der möglichen Anwender ist aber die Zahl der Personen, die in diesen Studien das neue Medikament ausprobiert haben, vergleichsweise klein. Seltene und sich erst im Laufe der Zeit unter Langzeittherapie einstellenden Risiken können nicht abschließend beurteilt werden. Der Stellenwert einzelner, auch leichter Arzneimittelrisiken kann nur durch eine laufende Beobachtung der Arzneimittelanwendungen im Alltag beurteilt werden. Für das Kindes- und Jugendalter gilt dies in besonderem Maße, da bis vor kurzem Medikamentenstudien an Kindern völlig verboten waren. Die auf den Erfahrungen der Erwachsenenmedizin basierende Anwendung von Medikamenten bei Kindern ist angesichts der völlig anderen Größenverhältnisse, dem ganz anderen Stoffwechsel und den möglichen Risiken für den noch wachsenden Organismus bis heute ein völliger Blindflug.
Unter Führung der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) hat sich in den letzten Jahrzehnten langsam ein Pharmakovigilanzsystem entwickelt, das versucht, diese Situation zu verbessern (Übersicht in Arzneiverordnung in der Praxis, Band 32, Sonderheft 1, April 2005). Hierzu gehört die AGATE (Arbeitsgemeinschaft Arzneimitteltherapie bei psychiatrischen Erkrankungen), in dem sich ursprünglich flächendeckend alle bayerischen psychiatrischen Versorgungskrankenhäuser zusammengeschlossen hatten, um die Arzneimittelanwendung in ihren Häusern effektiver und sicherer zu machen. Dieses Projekt ist in der Medizin einzigartig, etwas Vergleichbares gibt es in keiner anderen Arzneimittel anwendenden Disziplin. Es funktioniert ausschließlich durch das Eigenengagement der Mitarbeiter der angeschlossenen Kliniken. Dadurch arbeitet es völlig unabhängig von finanzieller Unterstützung aus öffentlicher Hand und Pharmaindustrie.
Auf Initiative des Direktors der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Bezirksklinikum Regensburg, Herrn Dr. Martin Linder, trafen sich am 3. Februar 2009 Vertreter von 7 bayerischen Kliniken für Kinder- und Jugendpsychiatrie, um das Programm der AGATE auf die Altersgruppe ihrer Patienten auszudehnen. Seit Herbst 2013 arbeiten auch niedergelassene Psychiater der KJP in der Kinder-AGATE mit!
Organisiert durch die Klinische Pharmakologie der Psychiatrischen Universitätsklinik Regensburg (Prof. Dr. Dr. Ekkehard Haen) werden seitdem alle schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen (SUAW) aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie dokumentiert, in einer eigenen Datenbank gespeichert und an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft weitergemeldet. Darüber hinaus wird das Verordnungsverhalten dokumentiert. Desweiteren führt die AGATE gezielte Beobachtungsstudien zu speziellen Fragestellungen zur Abklärung von Arzneimittelrisiken im Kindes- und Jugendalter durch.